Surftour

Intermezzo

Das Schöne am Netz: es gibt darin ja nichts , was es nicht gibt. Inspiriert von einem durch eine automat. Schreibübung hervorgebrachten Wort wie „Herzenswanderungen“ wollte ich bloß mal nach Titel und Autor des bekannten Wackenroder´schen Büchleins fahnden, da kommen mir auch schon diverse Trittbrettfahrer dieses romantisch verbrämten Ausdrucks entgegen, die ihre esoterischen Züge aufs Gleis der Metapher gebracht haben, ach wie gruselig: Herzenswanderungen.de – Herzenswanderungen mit Wolf Göz – zum Herz von Mutter Erde, man gönnt sich ja sonst nichts.
Zum Glück lässt sich die Seite vom guten ? Wolf nicht öffnen und dieser rettende Seitenladefehler bringt mich zurück zu Hesse´s Herzenswanderungen und zu einem Spruch von ihm aus seinem „Demian“: „Man hat nur Angst, wenn man mit sich selber nicht einig ist.“
Muss ernüchtert feststellen, dass es nicht Herzenswanderungen, sondern Ergießungen… …Herzensergießungen“ waren, die uns Wilhelm Heinrich Wackenroder (* 13. Juli 1773 in Berlin; † 13. Februar 1798 in Berlin), Jurist, Schriftsteller Mitbegründer der deutschen Romantik, beschert hat. Jetzt bin ich schon im wikipedia-Netz gefangen, wird auch gleich durch die Koinzidenz, dass Wackenroder am 13. Februar starb, dem Tag, an dem ich dies hier schreibe, heute ist Freitag, der 13. Februar, 217 Jahre nach Wackenroders Tod und mir ist auch schon ganz schlecht oder wie? Weshalb ich den Beitrag hier erst Tage später am Rosenmontag 2015 hochlade. Helau! Soll ich jetzt auch Freitag, den 13. oder den 13.2.1798 oder Rosenmontag googlen, Aberglaube recherchieren oder ein anderes Schwein durch die Kirche jagen oder mich über carne vale ergiessen, so oder so an nichts als ans gute Netz der Dinge glauben, ja, warum, warum denn nicht…. wollte ich eine Sauftour schreiben oder eine Surftour?

Das ist die perfekte Welle, das ist der perfekte Tag oder wie, um auch heute via Umwege, denn zweifellos ist das Netz nicht deshalb Net, weil es direkt zum Ziel zu führen hätte, sondern es führt –wie ja auch der Weg zu dir- eben leider nur über Umwege… und hier nicht ins Herz, sondern direkt ins Fadenkreuz. Und so nährt sich durch Umwege die Frage, auf welche Weise wir uns einspinnen lassen, um am Ende des Tages, auch schön, ein Kollege sagt immer stereotyp: „im Endeffekt“, weiß nie, was er damit genau meint, ins Auge der Spinne zu schauen, die –glaube mir- uns zu verstehen gibt, was Spinnerei alles sein kann und wo das Netz für uns zu Ende ist.
Ich nehme also brav keine allzu weiten Umwege in Kauf, sondern widme mich ganz wissenschaftlich dem Körperbild im 18. Jahrhundert, denn mein Thema war und ist ja embodiment im weiteren und engeren Sinne des Schreibprozesses.
Dazu gelange ich über eine Suchanfrage nach „Der Mönch“ von Lewis.
Der Spiegel schreibt dazu bereits 1962, ist doch toll, ein Klick und ich lese einen Spiegel, der vor meiner Geburt ein Thema behandelt, dass mich 50 Jahre später interessiert. Wie beruhigend ist das denn?

Rasender Stillstand hieß ein Buch von Paul Virilio, aber halt: erst Lewis` Mönch und der Spiegel, dann Paul und der rasende Stillstand…
Stelle fest, dass der Spiegel-Artikel nur ein Bücherspiegel von 1962 war damaliger Neuerscheinungen, die bis heute vielleicht ver- aber noch immer unbegriffen sind…?
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„Satan in Person entlarvt mit Hilfe attraktiven weiblichen Unterteufels hochmütigen Dominikanerprediger als Erzsünder. Furcht vor der Inquisition zwingt den Mönch zum Teufelspakt, doch statt der erhofften Fortsetzung des süßen Lebens beschert der Gottseibeiuns dem Lasterbold einen Todessturz vom Berggipfel und damit sofortiges Inkrafttreten ewiger Höllenpein. Der amüsante englische Schauerroman vom Ende des 18. Jahrhunderts wurde nach einer passablen – anonymen – deutschen Übersetzung von 1799 jetzt zum erstenmal vollständig in Deutschland publiziert. (Karl Rauch Verlag, Düsseldorf; 284 Seiten; 14,80 Mark.)“

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Und das nun angesichts eines geradezu erschreckend banalen Hypes um Fifty shades…und vor dem nur langsam verblassenden Hintergrund von ungezählten Missbrauchsfällen in sakralen Institutionen oder einem jovialen Ex-Weltbankchef auf der Anklagebank. Mhm.

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„Das Streben nach Besitz und Macht …ist bei Lewis durch den Sexdrang ersetzt, und wo sich einst Rechtschaffenheit und Tugend durch alle Schrecken hindurch bis zum guten Ende behaupteten, da bleiben jetzt Recht und Unschuld auf der Strecke. Die tugendhafte Antonia verliert durch brutalen Mord den Schutz ihrer Mutter und wird wenig später selbst in scheußlicher Manier vergewaltigt und umgebracht. Zwar büßt am Schluss der unmoralische Frevler Ambrosio – ebenso wie die ihn an Bosheit noch übertreffende Äbtissin- grausam für die begangenen Untaten und für den Abfall von Gott, aber dieses Gericht ist ebenso willkürlich und sensationell –brutal wie die Verbrechen und bringt keinerlei kathartische Wirkung hervor.“

quelle: E. T. A. Hoffmann-Jahrbuch 1992-93: Deutsche Romantik im europäischen Kontext, herausgegeben von Hartmut Steinecke, Berlin Erich Schmidt Verlag 1993, S. 38

Wir hatten andernorts bereits über die Unbehaustheit des Menschen in seinem Körper gesprochen, die mit dieser Literatur erstmals gehäuft zur Sprache kommt und Földényi hatte auch von der Verlassenheit des menschlichen Körpers gesprochen, der uns vor Augen geführt würde. Tatsächlich handelt es sich ja um den profanisierten Körper, der zugleich den Menschen insgesamt entwertet. Darum ja auch der ganze heutige Hype um Kosmetik, wellness, vegane Ernährung und den yogischen Ruf nach dem Körper als Tempel.

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Um dem Menschen, und hier schließen wir so gleich mit Paul Virilio an, Trost zu spenden in einer Welt, die das Individuum zur bloßen Maßeinheit macht.

„Das Internet macht das möglich. Um an der Weltgesellschaft teilzuhaben, muss man sich nicht mehr körperlich in ihr bewegen. Es genügt, seine zwischenmenschlichen Kontakte, die Geschäfte, sogar berufliche Aufgaben via Mausklick von zuhause aus zu erledigen. Ganz nach dem Motto: Komm ich nicht zur Welt, kommt die Welt zu mir. Somit ist zumindest der Prozess der Egozentrierung nahezu perfekt abgeschlossen.
Doch auch das Individuum wird vom Zerfall bedroht… Nachdem die körperliche Welt sich als überwindbares Hindernis herausgestellt hat, ist die logische Folge, dass der menschliche Körper als Teil derselben überflüssig geworden ist. Er ist von der Natur so konstituiert, dass er in der realen Welt überlebensfähig ist, doch ohne deren Ansprüche sind unsere natürlichen Fähigkeiten schlicht unbrauchbar geworden. Folglich wird in Zukunft der Computer als einziges Werkzeug, und die Befähigung diesen zu bedienen, in den Vordergrund rücken. Die reale Welt erliegt so dem vollkommenen Stillstand…“

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Das stimmt natürlich so nicht, aber in der Überspitzung liegt der Reiz, das Spiel gedanklich weiterzuspinnen. Bei Blake im 18. Jahrhundert – und wieder schließt sich uaah uaah ein zeitlicher Teufelskreis und lehrt uns, die wir auszogen zur Surftour ins Netz, um das Fürchten zu lernen, das Szenario zunächst noch als Reduzierung der Sinnesorgane nachzulesen.


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„ Das Auge, eine schmale Kugel, verschlossen & dunkel,
Nimmt das Große Licht kaum wahr; unterhält sich mit der Leere;
Das Ohr, eine kleine Muschel, die mittels kleiner Voluten, die Wahren Harmonien ausschließt & die großen als sehr klein begreift: Die Nasenlöcher, nach unten gerichtet & mit fühllosem Fleisch verschlossen. So daß Düfte sie nicht weiten, Freude sie nicht begeistern könnten:
Die Zunge gefüllt mit etwas Feuchtigkeit; verdorben von etwas Nahrung, gibt etwas von einem Ton von sich & ihre Rufe verhallen kaum gehört.“

quelle: „Newtons Traum“ Lászlo F. Földényi; Matzhes & Seitz Batterien 75 , Berlin 2004, S. 204 f.

Heute würde man eher von der Überreizung der Sinne sprechen, was auf dasselbe hinausläuft, auch wenn sichs anders anfühlt. Dr. Wolfgang Kramer fasst das soziologisch zusammen und referiert im Geiste Virilios dazu:

• Technische Beschleunigungen im Transportwesen, der Kommunikation und der Produktion
• Die Zerstörung des anthropologischen Raum-Zeitzusammenhanges: die Herrschaft des Abstandslosen
• Soziale Beschleunigung: Steigerung im Lebenstempo der Menschen – Bilanz der Verluste
• Vom alltäglichen Stress zum Burnout
• Starke Zunahme von Depressionen
• Zunahme psychischer Erkrankungen aus dem autistischen und schizophrenen Formenkreis
• Entschleunigung als gesellschaftliche Aufgabe

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Wie der Körper im Schreibprozess zerfällt und sich im Text quasi neu zusammen setzt, ob nun im rasanten automatischen Schreiben, im entschleunigten mediativ traumwandlerischen oder im klaren analytisch prozeduralen, das wird Thema sein des demnächst -mühsam ernährt sich das Eichhörnchen- hierorts fort gesetzten Blog-Dreiteilers „Von der Kladde zur Klarheit“. Bis dahin vielleicht ein Ausblick akustisch zum Zuhören im weiteren Sinne:

quelle: wdr Köln 2007 Der unsichtbare Film Radio-Feature

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