Wenn laut Ortner keiner der von ihm untersuchten zehn professionellen Schreibtypen einer linearen Strategie logisch aufeinander folgender Produktionsschritte gemäß schreibt, spricht das nicht bereits gegen die methodologische Zerlegung des Schreibvorgangs?
Nein, weil, so Girgensohn, die Selbstbeobachtung beim Schreibvorgang den Grad der Reflexivität in Bezug auf das eigene Schreiben erhöhe.
Die von ihr skizzierten Strategien zur Flexibilisierung des Schreibprozesses konzentrieren sich auf also unterschiedliche Strategien, mit dem „Chaos“ mal durch systematisches Zerlegen, mal durch unsystematischen „flow“ Varianten erfahrbar zu machen und damit die Dimensionen des Denkschreibraums auszuloten, dies allerdings immer bezogen auf den konkreten Akt des Schreibdenkens.
Die genannten Schreibstrategien orientieren sich an der von Guilford und de Bono begrifflich geprägten Auffassung, dass im kreativen Prozess sowohl divergentes Denken als auch konvergentes Denken eine Rolle spielt.
„Kreativitätstechniken und Kreativitätsprozessmodelle versuchen, durch Berücksichtigung beider Denkstile neue, kreative aber auch umsetzbare Ideen zu fördern.“
Dabei wird von der Voraussetzung ausgegangen:
„Divergentes und konvergentes Denken sind komplementär:
sie ergänzen sich, können aber nicht gleichzeitig ausgeführt werden.“
Ob dem wirklich so ist, könnte m.E. genauer untersucht werden.
Gleichwohl ist dieses Ungleichzeitigkeitsparadigma einer
kulturhistorisch gängigen Definition von Schreiben geschuldet:
„Es besteht kein Zweifel, dass dies der Begriff der europäischen Aufklärung ist: Schreiben als Medium des Nach- Außen-Bringens innerer Zustande, Schreiben als Exteriorisierung oder Expression von Gedanken.“
Mich interessiert im Rahmen der von Girgensohn/Ortner genannten Schreib- Strategien zunächst besonders die (unmittelbare) Körperwahrnehmung beim Schreiben,
denn Schreiben ist ein körperlicher Vorgang: der Körper verfertigt im Wechselspiel mit dem Gehirn die Gedanken zu Schrift und Text.
Dabei geht es nicht allein um Dispositionen des Körpers in Bezug auf den Schreibakt, sitze, stehe, liege ich, schreibe ich mit der Hand, schreibe ich mit der Maschine etc., sondern um die Wahrnehmung des Körpers in Hinsicht auf das Schreiben, auf das, was geschrieben wird, selbst.
So wie es eine Interaktion zwischen Text und Leser gibt, gibt es eine Interaktion zwischen Körperwahrnehmung und Schreibprozess.
Der Fokus auf diese Interaktion mag zunächst etwas befremdlich oder gar strapaziös erscheinen, er eröffnet aber m.E. einen erweiterten Blickwinkel auf die von Girgensohn skizzierten Schreibstrategien.
So wie Körper und Geist im Kino
Quelle: WDR Köln RadioFeature „Der unsichtbare Film“, 2007
in eine Art paradoxen Wach-Schlaf-Zustand versetzt werden, zieht sich der Körper beim Schreiben anscheinend zugunsten des Denkens zurück. Im Gegensatz zum Diktum der Sprecherziehung, „mit dem ganzen Körper zu sprechen“, scheint der Körper beim Schreiben, -abgesehen von der Arbeit der die Finger bewegenden Muskeln- „still“ zu sein.
Gewöhnlich kann man/frau sehr lange in der sitzenden Schreibposition verharren, ohne den Körper besonders wahrzunehmen. Dennoch wird der Körper hin und wieder wahrgenommen, besonders wenn beim Schreiben etwas besonders gelungen zu sein scheint. Der Inhalt des Textes hat dann möglicherweise psychische Qualitäten eingefangen, die unmittelbar mit körperlichen Erfahrungen korrelieren, Schmerz oder Glück. Die Haare im Nacken stellen sich auf, der Magen dreht sich um.
Der phonetisch-klangliche Typ in Ortheils „Ur-Typen“ literarischer Kreativität repräsentiert für mich am deutlichsten das Zusammenwirken von Körperwahrnehmung und Schreiben. Das beschriebene „Gespür für akustische Valenzen der Sprache“ verlangt geradezu nach Formen der Verfertigung von Gedanken beim Sprechen, Schreiben wird zum spokenword-Prozess, der Körper ist unmittelbarer Transporteur des Gedankens.
Gedankenlaut erteilt der trügerischen Stille des Schreibens eine Absage und hebt die relative Isolation des Körpers beim Schreiben am Tisch auf.
Es liegt nahe, dass dieser spokenword-performance genannte Schreibsprechprozess auch dem herkömmlichen Schreibprozess innewohnt.
Es wäre eventuell interessant, die hier im schmerz schreiben trauer-Beitrag behandelte Erzählung „Artgerechte Schlachtung“ mal auf motorische Elemente hin zu untersuchen
und diese im Hinblick auf die gedankliche, konzeptionelle Unterschlagung emotionaler Qualitäten zugunsten einer Intellektualisierung hin zu befragen,
also eine Art Re-Fragmentarisierung zu versuchen, ganz im Sinne der von Kristensen entlang Merleau Ponty´s Differenzierungen dargestellten Perspektive:
„Es ist also wichtig, den Unterschied zwischen intellektueller und perzeptiver Synthesis zu berücksichtigen. Genau hier liegt die Funktion des Körperschemas als „vorlogische Einheit“ des Leibes: es sorgt dafür, dass der Leib eine Umwelt hat, dass seine Glieder in ihren Bewegungen koordiniert sind und dass die Wahrnehmung einheitliche Gegenstände bietet.
Die synthetische Aktivität der Wahrnehmung gründet im Wesentlichen in leiblichen Gewohnheiten und nicht in einer bewussten von außen vorgenommenen Synthesis.
Die Wahrnehmungssynthesis ist, so Merleau-Ponty, an die „vorlogische Einheit“ des Körperschemas angelehnt, und auf dieser Anlehnung gründet ihre Unterscheidung von der intellektuellen Synthesis, und von daher auch der Unterschied zwischen dem Wahrnehmungsbewusstsein und dem Bewusstsein im engeren Sinne.
Hier liegt auch der Ursprung der Idee, dass die leibliche Motorik eine eigenständige Form von Intentionalität darstellt, wie Merleau-Ponty es im ersten Teil formuliert:
„Die Bewegungserfahrung unseres Leibes ist kein Sonderfall einer Erkenntnis; sie eröffnet uns eine Weise des Zugangs zur Welt und zu Gegenständen, eine ‚Praktognosie‘, die es als eigenständig, ja vielleicht als ursprünglich anzuerkennen gilt.“
Maurice Merleau-Ponty – Körperschema und leibliche Subjektivität S.31
bildquelle: Sentimentalität und Grausamkeit
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