Gehen wir das Thema „Schreiben und embodiment“ über einen ethnologischen Exkurs an der FU Berlin an.
Sonderfroschungsbereich 980 Episteme in Bewegung Ringvorlesung, heute Bettina Schmidt: Wissen des Körpers anhand der Geistbesessenheit im Candoble (Brasilien)bildquelle | Lidia Guzy: Trance als Körperwissen. Beispiele aus dem westlichen Odisha/Indien,
sehr schön moderiert von Prof. Dr. Christoph Wulf.
Nachdem ich den Saal gefunden habe; er ist nur über Strasse 26 jener Körper- nicht etwa Daten- Autobahn der FU Berlin erreichbar, aber wer wer weiss denn das schon? Strasse 27, na logo. Falsch! Die Frau weiss es nicht, die in der Toilette verschwindet mit der Ringvorlesungs -?- Frage „Ja, wo war das eigentlich?“ oder der Mann, der in Strasse 26 vor 120 rumlungert am Boden wie unsereins früher in der Penne: „Keine Ahnung, ich war noch nie hier“, sagt er und Strasse 27 ist hier nicht, hier ist Strasse 26, ich weiter, denke, es wird schon, finde schließlich -weiter unterstützt- den Saal, der n u r über Strasse 26 und zwar nur über 26 erreichbar ist und schon gehts los: Wissen des Körpers anhand der Geistesbesessenheit im brasilianischen Candomble.
An diesem Tag starb kein Hund. Ein Satz von José Samarago aus „Eine Zeit ohne Tod„, gerade eben gelesen, geht mir durch den Kopf. Ein Spaziergang mit dem Hund, zudem im Wald, fällt mir ein. Strahlender Sonnenschein. Haben hier nichts verloren diese „Assoziationen“. Aber sie finden mich; ungerufen. Dann höre ich von Prof. Bettina Schmidt, dass Sao Paulo, Ort ihrer religionsethnologischen Untersuchungen, war.
Ich überlege, ob das Genetische beim Schreiben eine Rolle spielt; wenn Vater Schriftsteller, Großvater…war ?, dann also keine Wahl, nicht wirklich, oder ist das so?
Es geht hier in der Vorlesung ablenkungsweise um die Weitergabe göttlicher Energie an Irdische. Das ist ein heiliger transformatorischer Prozess.
Ich überlege, wer mir beim Schreiben die Hand auflegt. Tut das jemand? Sind es meine Ahnen? Muss ich – wenn ich das wollen würde- (z.B. aus Fruchtbarkeitsgründen, beim Schreiben, versteht sich)- diese rufen? Tue ich das nicht manchmal, auch aus anderen Gründen oder nur aus anderen Gründen, besonders wenn ich nicht schreibe?
Im Vortrag geht es um the possessed body. Besessen sein hat aber nicht mit besessen werden im Sinne von Besitz zu tun. Die Unterscheidung ist wichtig. Es geht um ein Ritual, ja, um Inititation. Interessanterweise nehmen die Katholiken in Brasilien stark ab, sind zwar immer noch stärkste Religion, aber Pfingstler und Evangelikale, auch das Konzept der Geisterbesessenheit der Candomblé haben zunehmend stärkere Bedeutung, so die Professorin nach ihren 4einhalb Jahren Recherchen und Ritualbeobachtung in Brasilien.
Hier wieder fürs Schreiben ist interessant, dass die Rituale der Religionsgemeinschaften auf einer anderen Konzeption von Individualität beruhen. Das Ich ist hier ein Gemeinschaftswerk aus Vermittlung und Transformation göttlicher Energien, an denen nicht einer allein für sich beteiligt und i.d. Sinne eigen-verantwortlich wäre, sondern mehrere, Männer, Frauen; Geister GöttInnen.
Das ist nur mal so dahin gestellt und nicht als schlechte Ausrede für was auch immer gedacht.
Auch bei uns, also im Westen, gab es schon lange Konzepte vor dem Leib und Seele-Dualismus. Homer schon dachte die Seele als Körper. Bei Sokrates gab es Dämonen, die dem Körper innewohnten etc. Ich will hier nicht dem das Wort reden, der bei manchem Schreiber vermutet, dass der oder die einen „neben sich gehen“ hatte, als sie dies oder er jenes schrieb, aber mal ehrlich, interessant wäre die Vorstellung schon, dass einem beim Schreiben nicht nur jemand über die Schulter guckt, sondern sich auch ganz konkret und halbwegs heftig einmischt, in das was, wie und nicht nur etwa, dass oder warum wir schreiben.
Nur mal als Anregung hier aus den Besessenheits- und Trance-Vorträgen abgeleitet: Schreiben als Ritual könnte das nächste Thema sein oder mal abgeleitet vom hiesigen Blog-Eintrag schmerz schreiben trauer die Vielfalt von Körperformen im Schreiben…
Ingeborg Bachmann hat mal geschrieben:
Was ich unter Politik verstehe, hat sich herangebildet in mir, einem einzelnen, und nun mag das Wort hingeworfen werden zum erstenmal: nicht als ein Resultat denkender Überlegungen, sondern als eines der Physis. Damit möchte ich sagen: ich habe nicht eines Tages alle möglichen Theorien vorgestellt bekommen, in alle Praktiken Einsicht genommen, um mich für die eine oder andere zu entscheiden, zum Beispiel daraus hervorzugehen als Demokrat -wählen wir ruhig die harmloseste und schwierigste Absonderlichkeit- sondern auf Grund einer langen umwegigen Geschichte der Physis, das heisst, dass ein im Prozess befindliches Körperteil, dessen Tentakel die anderen Tentakel des gesellschaftlichen Körpers dauernd berührt, von ihnen abgestossen und angezogen wird.
Quelle: Nachlaß Typoskript, Wiener Staatsbibliothek 2490
Klingt ziemlich genau nach dem, was das Ritual der Trance oder / und Geistesbesessenheit evoziert. Das Unterrichten und Unterrichtetwerden, der Prozess der Inkorporation von kollektivem wie individuellem Wissen.
Hier ist der Mensch nicht das abgeschlossene Individuum, der homo clausus, sondern hier wirken Kräfte auf das Individuum, das als Di-viduum begriffen werden sollte, das im Austausch mit anderen erst zudem wird, das er/sie ist.
Insofern könnte man auch dem Schreibprozess eine diversifizierte Betrachtung widmen und das Schreibdenken z.B. auch als einen tranceartigen Durchgang von Menschen, Dingen, sozialen Prozeduren etc. betrachten, als einen Vorgang, der bei weitem nicht so kontrolliert oder analytisch verläuft wie es das bislang vorliegende akademische Schreibprozessdenken annimmt oder darstellt.
Meine Vermutungen verstärken sich im Vortrag von Lidia Guzy über Trance als Körperwissen. Guzy hat sich mit einem Referat zu den Unberührbaren von Orissa/Indien im Rahmen Ihrer Askese- und Ekstaseforschung in der FU präsentiert und ihr Einstieg war genau die Konzeption von Individuum, die hier zur Disposition steht, auf der einen – „unserer“ – Seite das invidere-Individuum, das ungeteilte Ego und auf der anderen Seite, da wo die Götter auf den Tischen und in den Leibern tanzen, wo Trance mit Musik als Mediator oder Transformator wirkt, das geteilte kosmo-zentrierte ego .
Klar befinden wir uns jetzt im Bereich der Heilung. Trance als Heilung.
Wie viele Anteile Kontemplation sind beim Schreiben auszuloten und welche Qualitäten hat die Inkubation eines Textes?
Aus dem Referat von Lidia Guzy extemporiere ich hier folgende keywords, die ich in einem der nächsten Blogbeiträge
„Von der Kladde zur Klarheit I II III“ näher betrachten werde:
Dorf- Musik- Verunreinigung- Tanz- Liturgie des Rhythmus- Externalisierung- mimetische Prozesse
Alles Weitere bestimmen die Geister
Namasté
Caption: Tribal women in Odisha. Photographer: Justin Kernoghan
bildquelle
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