Von der Kladde zur Klarheit II

Ich wollte ja noch etwas zur Verunreinigung schreiben. Die spielte ja in dem indischen Orissa Ritus, den Lidia Guzy untersucht hatte, eine Rolle. Die Unberührbaren, die Verunreinigten mit ihren Tierfelltrommeln, werden von den GöttInnen benutzt, sie sind Medium. Das Verunreinigte dient als Übergang und Abgrenzung quasi zwischen dem Beseelten und dem zu Beseelenden.
Lászlo F. Földényi untersucht Blakes Bild von Newton in seinem hoch interessanten Buch „Newtons Traum“. Hier schreibt er vom Körper als einem Kerker, in dem die Phantasie geknebelt sei und vom Körper selbst als einem „Gefangenen“.

„Diese Folter erscheint bei Blake als zuweilen augenfällige, physische Qual; es kommt aber auch vor, dass sie nicht sichtbar ist, sondern dass man auf sie schließen muss. Mal stellt Blake den Körper schmerzend, in Stücke zerrissen, zerfetzt dar, mal ´gedrillt`, gezüchtigt, ein Opfer der ihm aufgezwungenen Maßregeln. Einen solchen Eindruck erweckt auch Newtons Körper. Trotz seiner ausgearbeiteten Muskeln und seines elastischen Körpers ähnelt er eher einem dressierten Pferd als einem Tiger. Dadurch dass die Unreinheit verdrängt wurde, verlor auch der Körper seinen Christus beschwörenden, sakralen Charakter, wurde entsakralisiert.“

Life_of_William_Blake_(1880),_volume_1,_page_304quelle

Entscheidend ist hier die von Földényi betonte Nähe von Blake und de Sade. Der Körper werde bei beiden entsakralisiert zur bloßen Physis.

„Sade und Blake stellen den Körper nicht aus sadistischen Interesse so dar, wie sie es tun; im Gegenteil, erst der jeder Hoffnung auf Auferstehung beraubte Körper weckt in ihnen – und in auffallend vielen ihrer Zeitgenossen –die sadistische Phantasie.“


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Das scheint insofern interessant für unsere These vom Körper im Schreiben oder genauer der dem Schreiben prozessual inhärenten Leiblichkeit, weil Földényi Körperlichkeit bei den erwähnten und einer ganzen Reihe anderer Autoren bis ins 18. Jahrhundert hinein feststellt: der Körper,

„genauer die Körperlichkeit des Menschen (wird) zum wichtigsten Beleg für seine Verlassenheit: der Mensch wird immer mehr auf seinen Körper reduziert, zum bloßen ´Gefäß` der Empfindungen (Locke), zur Maschine (La Mettrie), zur manipulierbaren, immer geringeren Widerstand leistenden Materie, nach der auch die gesellschaftlichen Institutionen allzu leicht ihre Netze auswerfen können, wie Foucaults diesbezügliche Forschungen gründlich belegt haben.“

(„Newtons Traum“ 205 ff.)

Später finden wir bei dem irischen Maler Francis Bacon quasi die bildnerische Fortsetzung dieser Konzeption z.B. in seinen Portraits of William Blake. bacon_studyportrait2
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Vom unharmonischen zum deformierten Körper. Der Betrachter betritt nicht die Wirklichkeit, sondern künstliche Räume, Körper in Käfigen und in Käfigen ihrer Körperlichkeit, in sich und im Raum eingekerkerte Menschen.

Da gibt es zwei Äußerungen Bacons, die widerum auf zwei Aspekte von Leiblichkeit verweisen und bei denen ich mich frage, ob sie nicht auch aufs Schreiben zutreffen oder für das Thema der Schreibprozessforschung hier hilfreich sind. Einmal äußert sich Bacon:

“ I did hope one day to make the best painting of the human cry. I was not able to do it.”

, später nach seiner spektakulären Serie “Heads” Ende der 40er Jahre:
Head_VI_(1949)

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„One never does anything but talk around it—because if you could explain your painting you would be explaining your instincts.“

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Zu „Head I“ heißt es denn auch in anderen Worten, denen des Kritikers oder Betrachters Lawrence Gowing:

Head_(1948)

„The medium of vision, the granular paint, begins to powder down like snow at night.“

Übertragen aufs Schreiben: Als ein Geflecht können wir das Feld des Schreibprozesses vielleicht näher bestimmen: aus Nicht- den Schrei-Schreiben-Können, aus dem Wirken von Instinkten und aus der körperlichen Einbettung von Gedanken sowohl in der räumlichen Umgebung als unmittelbare Erfahrung dieses Raumes als auch in der Landschaft seines oder ihres in einer bestimmten Landschaft und einem bestimmten Klima verortbaren Schreibens.

Bei Ocatvio Paz ist in seinem kreisförmig strukturierten Gedicht „Pasado en claro“ der gedankliche Prozess der Reflektion (politischer Verhältnisse) Landschaftserfahrung und Landschaftsbeschreibung zugleich Schreiberfahrung, Schreibprozess per se könnte man auch sagen, oder

„eine augenblickliche Gebanntheit….komprimierte Augenblicke, die auf nichts anderes warten, als in der Reife eines großen Augenblicks –dem Augenblick des Schreibens- aufzubrechen…
´Dieses Jetzt, Brücke, ausgespannt zwischen Buchstabe und Buchstabe´…
Erkenntnis und Sprache – die Wirklichkeit der benannten Dinge, die Wirklichkeit der Handlung des Benennens, die Wirklichkeit desjenigen, der sie benennt – sind die zwei Pole, welche die Spannung in der Tätigkeit des Schreibens erzeugen.“

Und mit dieser „Augenblicksapotheose“ des Schreibens als Vorgang schließt sich auch wieder der Kreis zu den ach so irrationalen Ritualen von Orissa.

„Es gibt den dritten Zustand,
Sein ohne Sein, die leere Fülle.
Hier sind wie frei vom Fluch und von den Fallen der Namen, von den Tücken der Sprache, denn die Namen, die sie nennen, sagen: „Nichts“. Diese Fülle ist es –der Dichter begreift es jetzt-, die wie ein unterirdischer Fluss schlängelnd, suchend, dieses Gespräch, das dem Gedicht zugrunde liegt, am Leben erhalten hat. …`Gott ohne Körper / mit körperlichen Sprachen / benannten es meine Sinne…“

So bewegen wir uns im circulus vitiosus der Sprache, ahnen aber Dimensionen des Außersprachlichen, erfahren einen anderen Raum,

„ der dem der Worte entzogen ist, der der wahre Ort der Gebanntheit ist.“

(Pere Gimferrer, Nachwort zu Octavio Paz „Die großen Gedichte“, Übersetzung Gottfried Bühler/Fritz Vogelsang, edition suhrkamp 1008, 1980, S.204 ff.)

Bei dem niederländischen Dichter Cees Nooteboom in seinem Roman „Paradies verloren“ finde ich eine ganz interessante body mind text -Entsprechung dieser Raum-Sprach-Erfahrung.
Der Roman spielt nicht grundlos im Land der Aborigines, deren Traumpfade-Entdeckung uns ja schon mal -schon etwas länger her, ich weiß- in die Schranken unserer westlichen analytischen Kultur verwiesen.

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„So schaffe ich es nicht. Die Stille, die hier draußen herrscht, lässt sich mit nichts vergleichen, genau wie der Sternenhimmel, Wüstenstille, Wüstenhimmel. …Jetzt versuche ich zu sagen, was ich denke, aber es geht nicht. Ich würde gerne etwas über meinen Körper sagen, darüber, dass ich mir deutlicher denn je zuvor bewusst bin, dass es ihn nur ein einziges Mal gibt; dass er sich mit dem deckt, was ich ´ich´ nenne, doch dann stoße ich an den Rand der Wörter, über Ekstase kann man nicht sprechen. Und doch ist es etwas in der Art, ich habe noch nie so sehr existiert.“

Gut, wer schon mal in der Wüste war, weiß was gemeint sein könnte, kennt diese Stille der Landschaft, die sich dem laut denkenden oder leise sinnierenden, auf jeden Fall nun in Bewegung langsam Erstarrenden gegenüberstellt und die auf seltsame Weise mit einer spezifischen innerkörperlichen Stille korrespondiert, so dass der Mensch seinen Körper, mehr noch, in der Wüste wie nirgends so stark erfahren kann: als Hülle.

„Wer hat bloß die Engel aus der Welt verbannt, obwohl ich sie noch immer um mich spüre? Meine Examensarbeit befasste sich mit der bildlichen Darstellung musizierender Engel, Hieronymus Bosch, Matteo di Giovanni, in erster Linie aber mit einer Abbildung aus einer illuminierten Handschrift des vierzehnten Jahrhunderts.
Man sieht den heiligen Dionysios an einem Pult an seinem Buch über die Hierarchie unter den Engeln schreiben, die in neun konzentrischen Bögen über ihm schweben. Über seinem infulierten Haupt fliegen sie einander entgegen mit ihren mittelalterlichen Blasinstrumenten, Psalter und Tamburinen, Orgeln und Zimbeln.
Hier liege ich mitten in der Wüste und höre sie, ein unvorstellbares Jubeln in der Stille. Engel, Wüsteneidechse, Regenbogenschlange, die Helden der Schöpfung, alles stimmt. Ich bin angekommen. Und wenn ich wieder gehe, brauche ich nichts mitzunehmen, ich habe alles bei mir.“

(Cees Nooteboom „Paradies verloren“ Roman, suhrkamp 2004, Übersetzung Helga von Breuningen)

Macht Wissen Sprache im Siedepunkt der Stille inmitten der Wüste.
Ich wähne mich auf dem Scheitelpunkt von Foucaults kahlem Schädel, die Erde dreht sich unaufhörlich weiter, während ich in einer Art Gegenbewegung mit meiner Tuschefeder eine Art Spirale zeichne auf die Haut meiner Hand und langsam, ganz langsam auf die Haut unter mir, auf der ich gerade ins Taumeln geraten bin.
Zum Glück finde ich einen link, der mich mit der notwendigen Diversity auch in Computerspielen vertraut macht. Vertraut Macht?

foucault
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